Finanzwissenschaftliche und verfassungsrechtliche Einbettung des schweizerischen Steuerrechts
Fairness im Steuerrecht ist weit mehr als Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Begriff umfasst einen ganzen Strauss verfassungsrechtlicher Prinzipien, welche das materielle Steuerrecht, Steuerverfahrens- und Steuerstrafrecht sowie das Übergangsrecht durchdringen. Nach wie vor gilt, dass nur eine faire Steuerrechtsordnung mittel- und langfristig auf Akzeptanz stösst und Rechtssicherheit bieten kann. Die Politik ist daher gut beraten, sich in der Gesetzgebung von den verfassungsrechtlich verankerten Fairnessprinzipien leiten zu lassen und sich nicht wegen Durchsetzung von Partikularinteressen hinter den Schutzbereich des Anwendungsgebots von Art. 190 BV zu verschanzen. Rechtsstaatlich problematisch ist daher der derzeit fehlende Wille, der zutreffenden verfassungsrechtlichen Kritik des Bundesgerichts am bestehenden Teilbesteuerungsverfahren Nachachtung zu verschaffen. Nicht nur in der Hektik der Alltagspolitik, sondern auch in wissenschaftlichen Beiträgen geht mitunter vergessen, dass dirigistischen Massnahmen im Unternehmenssteuerrecht insbesondere auch durch den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit Grenzen gesetzt wird. Steuerliche Massnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung stellen daher eine delikate verfassungsrechtliche Gratwanderung dar. Paradoxerweise ist es gerade die OECD, welche die Schweiz in verfassungsrechtlich problematische protektionistische Massnahmen treibt. Bei den tiefgreifenden Rechtsänderungen, die aufgrund des internationalen Drucks unter hohem zeitlichen Druck vorgenommen werden, darf die Rechtssicherheit keinen Schaden leiden. Dem Gesetzgeber kommt daher die anspruchsvolle Aufgabe zu, allfällige gegenläufige Interessen beim Übergang von der alten in die neue Steuerrechtsordnung unter Berücksichtigung des Postulats der Rechtssicherheit fair auszutarieren.
Finanzwissenschaftliche Prinzipien der Besteuerung
Das Steuersystem soll leistungsfreundlich, fair und einfach sein. Mit diesen Anforderungen sind Zielkonflikte verbunden. Reformen sollen die Auswirkungen auf Haushalte und Unternehmen miteinbeziehen. Die leistungshemmenden Wirkungen lassen die Kosten der Besteuerung progressiv mit zunehmender Belastung ansteigen. Die Steuerüberwälzung kann die beabsichtigten Verteilungswirkungen einzelner Steuern neutralisieren. Reformen sollen daher nicht auf einzelne Steuern isoliert abstellen, sondern die Wirkungen des Steuersystems als Ganzes und zusammen mit den öffentlichen Ausgaben betrachten. Ein transparentes und einfaches Steuersystem senkt die Entrichtungs- und Verwaltungskosten, vermeidet versteckte und schwer nachvollziehbare Umverteilung, und pflegt die Akzeptanz und Steuerehrlichkeit.
Les principes régissant la TVA : de l’utopie à la réalité ?
Der Beitrag untersucht, welche Rolle die systemtragende Prinzipien der Mehrwertsteuer bei der Umsetzung dieser Steuer spielen. Diese Leitlinien liegen der Mehrwertsteuer seit deren Entstehung in der Schweiz und unabhängig von der Kodifizierung im Gesetz zugrunde. Der Artikel untersucht die Tragweite der Grundsätze, die in erster Linie eine Anleitung zur Auslegung darstellen, um eine dem Wesen der Mehrwertsteuer als Endverbrauchssteuer entsprechende Anwendung sicherzustellen. Obwohl seit 2001 im Gesetz festgelegt, vermochten sie aber in der Vergangenheit nicht, eine für die Unternehmen neutrale Mehrwertsteuer zu gewährleisten. Der Beitrag zeigt, wie das 2010 in Kraft getretene Mehrwertsteuergesetz die Grundsätze übernommen und in zahlreichen technischen Regeln konkretisiert hat, die effektiv eine effizientere Umsetzung der systemtragende Prinzipien in der Praxis ermöglichen sollten.